Die Veröffentlichung des Index of Multiple Deprivation 2025 (Index der multiplen Benachteiligung 2025) am 30. Oktober 2025 durch das Ministry of Housing, Communities and Local Government (MHCLG) zeigt die anhaltenden Ungleichheiten im Vereinigten Königreich, mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Betroffenen. Der britische Index ist in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit seinem deutschen Äquivalent, dem German Index of Multiple Deprivation (GIMD), obgleich dieser nicht von Regierungsseite herausgegeben wird und erst seit vergleichbar kurzer Zeit (mit Datenanalyse seit 2007) besteht. In Großbritannien greift man hingegen besteht der Index bereits seit den 1970er Jahren und hat eine entsprechende politische Bedeutung.

Der Index of Multiple Deprivation bewertet und vergleicht Stadt-und Ortsteile dahingehend, in welchem Ausmaß sie von multipler Benachteiligung, oder Deprivation, betroffen sind: von Einkommen, Beschäftigung und Bildung hin zu Gesundheit, Kriminalität, Zugang zu Wohnraum und Dienstleistungen sowie Wohnumfeld.

Wie bereits in Ergebnissen aus den vorherigen Jahren sichtbar, weisen auch die englischen Indizes der Benachteiligung für 2025 eine Konzentration von Benachteiligung in großen städtischen Ballungsräumen (wie Birmingham, Liverpool, Greater Manchester und Teilen von Teesside) auf sowie in Regionen, die historisch stark von der Schwerindustrie, Fabrikarbeit oder Erz-und Kohleabbau abhängig waren. Diese Ergebnisse sind unmittelbar relevant für unsere laufende Forschung zur Marginalisierung und Repräsentation postindustrieller Gemeinden. Tatsächlich deckt sich unsere Forschungsarbeit in Teesside, insbesondere in Middlesbrough und Hartlepool, mit zwei Gebieten, die der Index als besonders stark von relativer Benachteiligung betroffen bewertet. Middlesbrough wird als die Kommune mit dem höchsten Anteil benachteiligter Stadtviertel eingestuft (50 %). Einer der zehn am stärksten benachteiligten Stadtteile des Landes befindet sich in Rotherham, einem weiteren für unsere Feldforschung im Vereinigten Königreich.

Trotz hoher Benachteiligungsgrade in Teilen Londons hebt der Bericht die anhaltende, direkte Verbindung zwischen einer postindustriellen Vergangenheit und hohen Niveaus multipler Benachteiligung hervor. Die Konzentration stark benachteiligter Gebiete im Norden Englands bestätigt zudem eine andauernde Nord-Süd-Ungleichheit. Als Reaktion auf die Veröffentlichung der neuen Ergebnisse des Index, halten Goodier, Butler und Aguilar García in einem Artikel im Guardian fest, dass Versuche, zur Regenerierung (levelling up) bisher nicht in der Lage waren, der hartnäckig hohen Benachteiligungsgrade in sogenannten abgehängten Städten und Gemeinden in den Midlands und im Norden Englands entgegenzuwirken. Der Artikel kritisiert damit nicht nur die Investitionsstrategien und Politik der vorherigen sowie der momentanen Regierung, sondern bedient sich zugleich die Rhetorik der Marginalisierung, um benachteiligte Regionen im Norden Englands zu beschreiben. Es ist dieser Gebrauch textlicher Stilmittel und Bilder, der im Zentrum unserer Analyse zur gelebten Erfahrung und medialen Repräsentationen marginalisierter Gemeinschaften in England und Deutschland im Rahmen des von der DFG (Deutsche Fördergemeinschaft) und dem AHRC (Arts and Humanities Research Council, UK) geförderten VOICES-Projekts steht.

Unsere bisherige Forschung zeigt, dass langjährige BewohnerInnen dieser Gebiete Benachteiligung in der Form einer Verschlechterung ihres Lebensstandards sowie ihres Zugangs zu Dienstleistungen und Infrastrukturen erleben. Unzureichender öffentlicher Nahverkehr, der Verlust von Geschäften in den Innenstädten, fehlende Begegnungsräume und Sicherheitsbedenken zählen zu ihren größten Sorgen. Langfristig sehen sie kaum Perspektiven für sich oder ihre Kinder und Enkelkinder vor Ort; der Wegzug ist für jüngere BewohnerInnen oft die einzige Möglichkeit, ihre Chancen zu verbessern. Wenngleich große Förderprogramme für die besonders betroffenen Gebiete versprochen wurden, wird die tatsächlich verfügbare Unterstützung für BewohnerInnen als sporadisch und unkoordiniert wahrgenommen – es fehlt ihr an klarer Koordination und strukturierter Planung. Die Hilfe, die tatsächlich bei den Menschen ankommt, wird meist von kleinen, häufig ehrenamtlichen Organisationen geleistet, die um geringe Fördermittel konkurrieren. Bestehende Gemeindezentren bieten den BewohnerInnen zwar einen wichtigen Ankerpunkt, sind jedoch in ihrer Reichweite und ihren Möglichkeiten, die größere Gruppen vor Ort zu unterstützen, begrenzt. Für viele Menschen in Gebieten mit hoher relativer Benachteiligung ist das Leben von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit geprägt, mit Auswirkungen für die physische und psychische Gesundheit. Der Index of Multiple Deprivation stellt Daten zu jenen Regionen, die dringend mehr Unterstützung benötigen, bereit. Unsere eigenen Erhebungen geben Einblick in die Lebensrealitäten der BewohnerInnen dieser Gebiete und zeigen Wege auf, wie Benachteiligung gemildert werden kann.