Lauchhammer Geschichten (I)

„Aus den Restlöchern wird versucht, wieder etwas Heimat herzustellen“

Eric Recknagel hat sich mit Jörg Hertel, dem Vorsitzenden des Traditionsvereins Braunkohle e. V., in Lauchhammer getroffen, um mit ihm über die Geschichte der Stadt zu sprechen. Ein Thema dabei: der „Kumpeltod“.

Eric Recknagel studiert Management und Recht an der Universität Greifswald, wo er auch in der studentischen Theatergruppe aktiv ist. Der Podcast wurde im Jahr 2025 produziert.

Jörg Hertel: Also Lauchhammer hat eine Karriere – in Anführungszeichen – genommen in den 50er Jahren über die Kokerei zum hochspezialisierten Energieerzeugungssektor und dementsprechend nach der Wende, nach dem Abbruch aller Geschichten wieder nach ganz unten. Und wir – sprich der Traditionsverein – wir versuchen das Ganze in positiver Erinnerung zu behalten.

Eric Recknagel: Wir befinden uns in Brandenburg und genauer im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. In einer Stadt, die ehemals aus vier separaten Orten bestand. Es geht um eine Stadt, die in ihren Hochzeiten bis zu 30.000 Einwohner zu sich zählte, wovon heutzutage nicht mal mehr die Hälfte geblieben sind. 1993 wird hier die restliche Braunkohleindustrie stillgelegt. Der einst so wichtige Industriestandort ist heutzutage nicht mehr mit dem zu vergleichen, was er einst war. Doch was war diese Stadt zu seiner industriellen Blütezeit? Und was hält die Zukunft für sie bereit? Was ist Lauchhammer? Ich bin Eric Recknagel und arbeite in diesem Projekt für die Politik- und Medienwissenschaften der Universität Greifswald. Ich habe mich für diesen Podcast auf den Weg nach Lauchhammer gemacht – eine Stadt, die wie kaum eine andere vom industriellen Wandel geprägt wurde. In dieser Episode geht es um den Aufstieg und vor allem um die Deindustrialisierung Lauchhammers und darum, welche Folgen dieser tiefgreifende Einschnitt für die Menschen, die Identität und den Alltag der Stadt hatte. Dafür habe ich mit Jörg Hertel, einem langjährigen Mitglied des Traditionsvereins Braunkohle-Lauchhammer e.V. gesprochen. Gemeinsam werfen wir einen Blick darauf, wie eine Industriestadt ihre Grundlagen verliert und was danach mit ihr passiert.

Jörg Hertel: Die Stadt Lauchhammer ist ja was Besonderes, das meine ich jetzt wirklich nicht ironisch, sondern weil in der Stadt zwei große Industriezweige seit Jahrhunderten nebeneinander existieren. Das ist einmal der Stahlbau, in Klammern auch der Kunstguss, und die Braunkohlegewinnung und Veredelung. Diese beiden Standbeine haben also die Stadt geprägt, auf alle Fälle bis zur Wende.

Eric Recknagel: Es ist der 25. August 1725. „Die Freifrau von Löwendal lässt an der Lauchmühle bei Naundorf (heute Lauchhammer-Ost) einen Hochofen zum Schmelzen von Raseneisenerz mittels Holzkohle anblasen“ [Quelle: Stadt Lauchhammer]. Es war einer der ersten Hochöfen in ganz Deutschland und der Start der Geschichte der Industrialisierung in Lauchhammer. Doch die Frage dabei ist, wo ist dabei die Kohle?

Jörg Hertel: 1789 war der erste Braunkohlefund hier im Bereich Lauchhammer am Butterberg. Da war natürlich noch nichts großartig mit Energieverwendung, sondern das war dann in den 80er, 90er Jahren oder Jahrhundertwende – 19. bis 20. Jahrhundert –, wo hier die Industrie aufblühte, wo aus kleinen Gruben größere Tagebaue wurden, wo die Dampfmaschine abgelöst wurde durch die elektrische Antriebskraft in allen möglichen Schattierungen. Lauchhammer hat zum Beispiel auch, von hier ging die erste 110 kV Hochspannungsleitung Richtung Riesa, damit die Energie von Lauchhammer gut transportiert werden konnte. Dann hatten wir also größere Tagebaue, aus kleinen Gruben wurden größere Tagebaue. Das Ganze wurde unterbrochen natürlich durch den Zweiten Weltkrieg. Dann hatten wir ja auch gleich eine gewollte Deindustrialisierung. Ich sage bloß Reparationszahlungen an die Sowjetunion. Hier wurden also relativ moderne Industrieanlagen abgebaut und in der Sowjetunion wieder aufgebaut. Und wir hatten Mühe, eine eigene Industrie wieder herzustellen. Aber Bergleute oder Industriearbeiter sind oft findig. Und es ging richtig los in den 50er Jahren, zum Beispiel der Aufbau einer Großkokerei Lauchhammer. Wir hatten also wenig Hütten für jeden Koks, da durch die Gründung der BRD und der DDR die Handelsbeziehungen daniederlagen und wir gezwungen waren, unseren eigenen Koks herzustellen. Das befeuerte natürlich, das befeuerte Lauchhammer sehr 1952, 1951 war der Befehl von Berlin. 1952 wurden die ersten Kokskammeröfen in Betrieb genommen und das ging natürlich einher mit Arbeitskräften, die hierher geworben wurden. Allein auf dem Baufeld der Kokerei waren 11.000 zusätzliche Arbeitskräfte, die hier die neue Großkokerei Lauchhammer bauten, das war damals das größte Jugendobjekt der DDR. Ja und dazu mussten die Brikettfabriken auch neu eingestellt und neu aufgebaut werden, besonders die Feinstkorn-Brikettfabriken, die F4-Briketts, die dann über Bandanlagen im gesamten Stadtgebiet Lauchhammer die Kohle in die Kokerei lieferten, um dort die Koksöfen zu beschicken, um dann den hüttenfähigen Koks abzuziehen. Und das bedeutete auf der anderen Seite, in den 50er Jahren, 52, 55, 57 wurde die Neustadt I, die Wohnstadt I gebaut, weil ja die Arbeitskräfte aus der Umgebung nicht mehr nach Hause wollten. Anfang der 60er Jahre wurde dann die Wohnstadt II aufgebaut, selber Grund, und in den 80er Jahren die Wohnstadt III, sodass wir zum Schluss auf knapp 30.000 Einwohner kamen. Das war eine Blütezeit hier der Industrie. Man muss auch dazu sagen, eine Blütezeit der Verschmutzung und der Beeinflussung der Natur, denn Produktion stand im Vordergrund und die Reinhaltung der Luft und der Gewässer waren dann an zweiter Stelle erst. Damit lebte man hier, das empfand man als normal und dafür gab es also die entsprechende Entlohnung und da gab es zusätzliche Entlohnungen wie das Bergmannsgeld und die Jahresend-Prämie und Zuschläge bei den einzelnen Abteilungen, sowie Lärm, sowie Staub, sowie verschiedene Sachen, damit die Leute blieben und es gab natürlich auch Deputatkohle, also Briketts zum Heizen zu Hause, 100 Zentner war der Durchschnitt für eine vollbeschäftigte Arbeitskraft und das im Jahr ist natürlich eine ganz schöne Ersparnis. Und die Betriebe, darf man auch nicht vergessen, hatten in Plänen und in Gesetzen verankert, die Bevölkerung zu versorgen, nicht nur mit Wohnungen, sondern die sogenannte zweite Lohntüte bedeutete, dass also staatliche Stützungen auf die Grundnahrungsmittel und auf die Mieten und auf Wasser und auf Elektrizität hier wirkten, sodass man in dieser Zeit relativ preiswert und gut für damalige DDR-Verhältnisse gewohnt hat.

Eric Recknagel: Bevor wir etwas tiefer in die Geschichte und die Entwicklungen rund um die Deindustrialisierung eintauchen, ist es für mich sehr wichtig, auch etwas Persönliches zu erzählen. Eine Anekdote, die man sonst selten zu Gehör bekommt. Und deswegen kommt hier eine kleine persönliche Geschichte. Was ist eigentlich der Kumpeltod?

Jörg Hertel: Der „Kumpeltod“ ist der Deputat-Bergmann-Schnaps, den wir unter anderem auch gekriegt haben. Das ist ein sowjetischer Befehl gewesen nach dem Krieg für die Wismut, um die Arbeitsproduktivität zu steigern. Und ein findiger Minister hat das auch für uns erfunden. Da haben Leute, die im Bergbau tätig waren, besonders draußen, entweder in den Fabriken oder im Tagebau, haben einen Anteil gekriegt. In den Sommermonaten 1 Liter, in den Wintermonaten 2 Liter. Manche in den Sommermonaten 2 Liter, in den Wintermonaten 4 Liter. Und der hatte bloß den Namen „Kumpeltod“. Das war ein 32%-iger ganz normaler Kornbrand, den man nehmen konnte, entweder gleich zum so trinken oder als Auffüllung für Eierlikör oder für Rumtopf oder was auch immer. Und der war eine richtige Währung bei uns. Währung deswegen, weil man bezahlte für einen halben Liter 80 Pfennig. Und wenn man weiß, zu DDR-Zeiten hat man also für eine Flasche oder für den halben Liter im Konsum oder im HO, sagen wir mal, 10, 12, 15 Mark bezahlt. Das war natürlich ein ganz schöner Unterschied. Und wenn also jemand irgendeine Leistung haben wollte, entweder eine Handwerkerleistung oder irgendeinen Gefallen, was kriegst du denn dafür? Und dann hat man oft gehört, na gib mir doch eine Flasche „Kumpeltod“. Dann war das Ding erledigt. Also das war eine richtige kleine Zwischenwährung. „Kumpeltod“ ist natürlich Quatsch, weil der Name alleine suggeriert anderen Leuten, dass das das größte Gift gewesen sein muss. Nee, das hieß eben bei den Bergleuten „Kumpeltod“. Und das gab es monatlich. In unserer Abteilung kamen dann die Leute mit dem Kasten. Hast du denn deine Bierflasche, das war die Pfandflasche, die kostete ja damals 30 Pfennig. Nicht nur, dann bezahlst du 30 Pfennig mehr. Und das war mit der schönste Tag im Monat, weil die Bergmannschnaps-Ausgabe sehr vielen Leuten Freude ins Gesicht gegeben hat. Es gab allerdings genauso viel oder wenig Alkoholkranke wie in dem Rest der Industrie. Also die Bergleute sind nicht eher gestorben. Unser Ältester zurzeit ist 96 im Verein, der Zweitälteste ist 94. Wir haben also sehr alte Bergleute, die auch ihr Leben lang relativ hart gearbeitet haben.

Eric Recknagel: Wenn wir über Lauchhammer sprechen, dann müssen wir auch über die 80er Jahre sprechen. Das waren die letzten Jahre, in denen die Industrie hier noch einmal richtig aufdrehte. Für viele Menschen war klar, der Betrieb war der Mittelpunkt ihres Alltags. Beruflich wie privat. Es war die Zeit, in der Lauchhammer noch einmal zeigte, wofür es jahrzehntelang stand. Arbeit, Produktion, Gemeinschaft und das Gefühl, Teil eines großen industriellen Motors zu sein. Doch heute, wenn wir auf diese Epoche zurückschauen, wissen wir: Es war nicht nur ein Höhepunkt, es war auch so ziemlich der letzte.

Jörg Hertel: In den 80er Jahren ist die Produktion voll gelaufen, richtig. Und da stand Produktion im Vordergrund. Ich will nicht sagen, dass da alles gut war, aber für sozialistische Verhältnisse, die wir hier hatten, haben die Wohnstädte, die Wohngebiete funktioniert. Es hat der Berufsverkehr, Kraftverkehr funktioniert. Es hat die Versorgung funktioniert. Und man muss dazu sagen, man war auch nichts anderes gewöhnt.

Eric Recknagel: Die 90er-Jahre sind ein harter Schlag für Lauchhammer. Mit der politischen Wende änderten sich von einem Moment auf den anderen die Bedingungen, unter denen hier gearbeitet wurde. Strukturen, die über Jahrzehnte selbstverständlich waren, gerieten jetzt ins Wanken. Entscheidungen, die früher zentral getroffen wurden, wurden jetzt hinterfragt oder ganz aufgehoben. Für die Menschen in Lauchhammer bedeutete das: Unsicherheit, Umbruch und für viele auch der Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Jörg Hertel: Die Wende hatte große Einschnitte verursacht, generell wirtschaftlich, denn wir hatten ja damals eine Planwirtschaft, eine sozialistische Planwirtschaft mit allen Vor- und Nachteilen. In beiden Industriezweigen und durch den Markt bzw. durch das Aufgehen dieser Industriezweige im Markt haben sich gravierende Veränderungen ergeben. Ich spreche mal jetzt für die Kohle. Die vielen kleinen Tagebaue in der Niederlausitz wurden aus unterschiedlichsten Gründen geschlossen. Ineffizienz, teilweise auch ein Riesen-Instandhaltungsstau. Und es sind nur noch im Augenblick vier Großtagebaue in unserem Bereich tätig. In Lauchhammer direkt schon lange nichts mehr, denn der Tagebau Klettwitz-Nord, der hier tangierte, ist also nicht aufgeschlossen worden. Der ist aufgeschlossen worden, hat allerdings nur ein knappes Jahr gearbeitet. Und die Tagebaue Klettwitz und Meuro in der Nähe sind planmäßig abgefahren worden. Auch deswegen, weil ja der Hauptzweck, nämlich Veredelung der Rohbraunkohle nicht mehr benötigt war. Der Hauptzweck hat sich ergeben daraus, dass die Energieversorgung auch gravierende Einschnitte hatte. Die Energieversorgung bedeutete früher, dass also alles daran gesetzt wurde, dass der sogenannte Energie- und Kohlebezirk Cottbus lieferte für die DDR. Für die Industrie, die sehr energieintensiv war. Nach der Wende wurden ja große Teile der Industrie, dank auch der Tätigkeit unserer Treuhand, vernichtet, wurden diese Industriezweige eingestampft. Das hat der Markt so entschieden und die Treuhand auch. Und somit war das Energieangebot überflüssig. Dazu kam natürlich der Hausbrand, die Briketts, die nicht mehr gebraucht wurden, weil jeder stellte seine Heizung oder fast jeder um auf moderne Energieträger. Das war also in den 90er Jahren.

Eric Recknagel: 1993 wird dann die gesamte Braunkohleindustrie in Lauchhammer stillgelegt. Es ist der Absturz eines Industriesektors und die Folgen sind bis heute zu sehen.

Jörg Hertel: Wenn ich jetzt mal von den Einwohnerzahlen oder von den Arbeitskräftezahlen ein bisschen was sage. Lauchhammer hatte also Ende der 80er Jahre knapp 30.000 Einwohner. Davon arbeiteten ungefähr 15.000 in der Kohleindustrie und 5.000 bei TAKRAF im Schwermaschinenbau. Davon sind nicht mehr viel übriggeblieben. Also TAKRAF hat glaube ich nicht mal mehr als 200 Arbeitskräfte und die Kohle selber hat sich also aufgelöst. Dort werden bloß noch sanierungsmäßig ein bisschen Arbeiten erledigt. Also davon ist nichts übriggeblieben. Das Schlimme bei der Sache ist, dass diese Monoindustrie, als sie weggegangen ist, als sie zerstört wurde, dass dort wenig geleistet wurde, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit also die vielen Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot kommen. Und diese Entwicklung hat auch Lauchhammer die Stimmung bzw. die Atmosphäre in Lauchhammer nicht gerade begünstigt.

Eric Recknagel: Mit der Stilllegung der Werke traf es aber nicht nur die Industrieanlagen selbst. Es traf vor allem die Menschen. Plötzlich standen viele Arbeiterinnen und Arbeiter vor einer Realität, die sich niemand von ihnen hätte vorstellen können. Die Arbeit, die ihr Leben über Jahrzehnte geprägt hatte, war auf einmal nicht mehr da.

Jörg Hertel: Wir haben dann spätestens unsere Leute erkannt, als die große Entlassungswelle kam, als die Betriebsschließungen kamen. Dort war dann die Meinung, du musst bloß arbeiten, dann hast du Geld. Ja, wo arbeiten? Es gibt keine Arbeitsplätze mehr. Wir haben sie selber vernichtet, wir haben sie selber abgebaut. Dann kam die erste Enttäuschung hoch.

Eric Recknagel: Aber nicht nur in der Arbeitswelt brach Lauchhammer zusammen. Auch das Privatleben war stark durch die Folgen der Wende betroffen.

Jörg Hertel: Kultur gab es vieles und schönes und bezahlt wurde es vom Betrieb und vom Kulturbund. Und Orchester. Jeder große Betrieb hatte seine kulturellen Höhepunkte. Und wir hatten Bergmanns Orchester als BKK Lauchhammer Braunkohlekombinant und Chor und Tanzgruppe und Malzirkel. Und das gehörte sich so, weil das war im Plan festgelegt. Dazu war jeder Großbetrieb verpflichtet, um den Leuten praktisch die Freizeit etwas besser zu gestalten. Von den Sportvereinen mal ganz abgesehen. Da kann man sich ja dann mal vorstellen, nach der Wende, als die Betriebe auf einmal nicht mehr da waren. Was passiert denn nun mit der Freizeit? Was passiert mit unseren Kindern? Was passiert mit unseren Jugendlichen? Alle haben sie gezuckt. Also die, die das noch wissen, die vielleicht Fußball gespielt haben oder im Kulturverein drin waren. 90, 91, das waren katastrophale Zeiten.

Eric Recknagel: Dann stellt sich einem doch die Frage, was ist eigentlich mit den ehemaligen Tagebauen passiert, nachdem die Förderung hier eingestellt wurde? Wie wurden diese riesigen Flächen genutzt, umgestaltet oder vielleicht sogar auch einfach sich selbst überlassen?

Jörg Hertel: Aus gekohlten Restlöchern, sprich Tagebaurestlöchern, wird versucht, wieder etwas Heimat herzustellen. Heimat heißt, wenn also ein Tagebau aufgeschlossen wird, wird die Gegend devastiert. Das heißt, die wird abgeräumt, inklusive Leuten, die dort oben mal wohnten. Das wurde alles per Gesetz geregelt. Dann wurde die Erde abgetragen. Dann wurde der Bodenschatz gewonnen. Und zum Schluss, wenn der Bodenschatz raus war, wurde das Restloch wieder verfüllt, so wie es ging, oder sogar wieder rekultiviert. Dass also wieder Landschaft entstand. Und so entstand hier, so wie auch zum Beispiel in Mitteldeutschland, Halle-Leipzig meine ich damit, und auch in Rheinbraun, also in Westdeutschland, wo die großen Braunkohlegebiete sind, Erholungsgebiete zu schaffen. Denn wenn man sich vorher die Gegend angeguckt hat, gerade hier die Niederlausitz, das war also oft und gern Sumpf und Moor und undurchdringliche Wälder. Allerdings ist das nun schon 200 Jahre her. Und so ähnlich sollte es wieder werden. Natürlich nicht mehr undurchdringlich, aber ein lebenswertes Gebiet. Und Naherholung hat ja immer was für sich. Und wenn wir den Senftenberger See ansehen, eines der Vorzeigegebiete hier in der Gegend, das war halt mal der Tagebau Niemtsch. Und der ist also planmäßig zu einem Naherholungsgebiet geworden.

Eric Recknagel: Nach all den Umbrüchen und Veränderungen stellt sich natürlich die große Frage: Welche Ideen gibt es heute für die Zukunft Lauchhammers? Worauf setzt die Stadt wirtschaftlich und gesellschaftlich? Und wie stellt man sich hier vor, den Weg aus der Deindustrialisierung in eine neue Perspektive zu finden? Gibt es dafür einen Plan?

Jörg Hertel: Nee, es gibt in Lauchhammer keine Idee. Wir hatten also 20 Jahre lang VESTAS diesen Flügelhersteller, die sich dann verabschiedet haben Richtung Osten. Mit fadenscheinigen Begründungen, nachdem sie sämtliche steuerliche Vergünstigungen hier abgefasst haben. Danach sollte S-Volt kommen, ein Batteriehersteller, auch nicht. Alles als Ersatz für die großen Arbeitgeber, damit Arbeitsplätze entstehen. Und hier gerade im Bereich, ich meine jetzt Lauchhammer, es gibt andere Gegenden, wo sich manche Industrien angesiedelt haben. Schwarze Pumpe, Industriepark Schwarze Pumpe, ganz hervorragend. Aber direkt für das Stadtgebiet Lauchhammer, was ein riesiges Gebiet ist, wo viele Leute auf Arbeitsplätze warten. Auf Arbeitsplätze, die sie nur in Lauchhammer haben können, weil sie eben nicht wegziehen können. Weil sie zu Hause Haus und Hof haben. Weil sie zu Hause ihre Eltern, ihre Verwandten haben, die sie hier alleine lassen können. Also immer bodengebundene, schollengebundene Leute. Für die gibt es einfach keine richtigen Arbeitsplätze im und um Lauchhammer. Es wird natürlich gesagt: jawohl und die Freizeitindustrie und Senftenberger See und Erholungsgebiete und wir schaffen das und das. Ja, es kann aber nicht jeder Bootsverleiher oder Eisverkäufer werden. Sondern es muss auch in der Grundindustrie verschiedene Arbeitsplätze geben, die relativ permanent sind, die bodenständig sind. Und da werden es immer weniger von, ich habe es schon vorhin glaube ich mal gesagt, paar und vierzig Tagebauen. Davon sind also im Augenblick noch vier übriggeblieben. Stimmt das? Vier? Welzow-Süd, Nochten, Reichwalde, Jänschwalde nicht mehr, ist zugemacht. Es ist bloß noch drei richtige. Und die sollen also in den nächsten 10 bis 15 Jahren auslaufen. Ja und was in der Zwischenzeit kommt, Kohleplan, Aufbau Ost, Arbeitskräfte schaffen, das klingt immer alles gut in der Zeitung und im Fernsehen. Aber hier an Lauchhammer sieht man davon nichts. Und die Bevölkerung sieht noch weniger.

Eric Recknagel: Das Fazit ist, Lauchhammer ist eine Stadt, die den tiefen Einschnitt der Deindustrialisierung unmittelbar erlebt hat. Vom einst pulsierenden Industriestandort mit tausenden Arbeitsplätzen hin zu einem Ort, der sich neu sortieren musste und bis heute auf der Suche nach tragfähigen Perspektiven ist. Lauchhammer steht heute zwischen Erinnerung und Neuanfang. Und die große Frage, die sich stellt ist: Was nun? Zum Schluss möchte ich mich ganz herzlich bei euch bedanken und natürlich auch ganz besonders an Jörg Hertel, der mit seinem Wissen und seiner Zeit geholfen hat, Lauchhammers Vergangenheit und Gegenwart verständlicher zu machen. Danke fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge.

Jörg Hertel: Aber generell wird Ihnen keiner sagen können, das und das ist geplant und das und das wird so kommen, weil Lauchhammer hat so viel Bruch erlitten die letzten Jahre. Also Sachen, die geplant waren, die fest geplant waren und dann trotzdem geplatzt sind. Leider.