Georg (69) aus Lauchhammer blickt zurück auf seine Jahre in der Kohle – eine Zeit, in der sich mit harter Arbeit gutes Geld verdienen ließ. Heute beobachtet er die Energiewende mit kritischem Blick.

Die Braunkohlekokerei Lauchhammer im Jahr 1990, heute nur noch Erinnerung

„Ich bin 1961 nach Lauchhammer gezogen, weil mein Vater hier im Braunkohlenkombinat Lauchhammer Arbeit bekommen hat. Nach dem Schulabschluss bin ich zur Armee, eineinhalb Jahre Grundwehrdienst. Zwischendurch habe ich immer schon in der Kohle gearbeitet – als Hilfsarbeiter, als Ferienarbeiter. Geld verdient, gutes Geld verdient. Die Kohle hat ja immer so ein Drittel mehr Tariflohn als der Rest der Republik gehabt. 

Ich habe eigentlich Automatisierungstechnik studiert, aber wurde in der Starkstromtechnik gebraucht und bin in die Energieversorgung des Kombinats gekommen. Dort habe ich bis zur Wende gearbeitet. Energieversorger und Tagebauer. Wer noch nicht Bescheid weiß: Alles, was in irgendeiner Form rollt und zischt und pumpt und sich bewegt, braucht Energie. Und zwar sehr viel Energie. Braunkohle war ja nun das einzig richtig große, was wir in der DDR als Energie hatten. Der Energiebezirk Cottbus besonders und das Braunkohlekombinat Lauchhammer auch besonders. Schon immer ein Vorreiter gewesen.

Jetzt könnte man sagen: Jawohl, ihr habt den Sozialismus richtig entwickelt. Als Energieversorger hattest du aber, egal in welchem System, eine Aufgabe: Versorgungssicherheit. Das war das A und O. Und zwar 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Da hat die Feiertagsvariante nicht interessiert. Urlaub musste eingeplant werden, Drei-Schicht-Systeme. Das hat funktioniert bis 1990, bis die Wende kam, wie sie viele herbeigesehnt hatten. Allerdings nicht, wie sie dann ausgestaltet wurde. Das hat so richtig keiner gewusst und geahnt.

Es gab ein Dilemma, besonders in so einer Monoindustrie, wie wir sie hier in Lauchhammer hatten. Wir hatten zwar als Standort Kohlegewinnung, Kohleveredelung bis zur Großkokerei Lauchhammer. Auf der anderen Seite ‚TAKRAF Lauchhammer‘, der Maschinenbauer, der die großen Geräte, Förderbrücken, Bagger für die Tagebaue hergestellt hat. Und nebenbei den Kunstguss.

Nach der Wende brach vieles zusammen, die gesamte volkseigene Industrie. Die Treuhand, wie wir alle wissen, hat ihre Aufgaben total verfehlt. Die wurde zwar in der DDR noch gegründet zur Privatisierung des Volkseigentums, aber wurde dann von unseren westdeutschen Partnern hundertprozentig unterlaufen, indem sie alles Ostdeutsche rausgeschippt haben, wie viele andere Sachen auch. Weil: die Ostdeutschen haben irgendwie ein bisschen gestört.

Jetzt kommt die nächste Wende nach knapp 30 Jahren, nämlich die Wende zu einer Energieversorgung, die – wenn möglich – nicht unsere fossilen Energieträger weiterhin verbrennen lässt, sondern regenerative Energien. Licht, Luft, Sonne, Wasserkraft – was es da nicht so alles gibt. Im Augenblick in einem unbefriedigenden Stadium, in einem sehr unbefriedigenden Stadium. Es muss nach wie vor die fossile Energie bereitstehen – wenn zum Beispiel plötzlich das Licht ausgeht. Oder es ist abends und nachts und da scheint eben acht bis zwölf Stunden keine Sonne, da fällt die Sonnenenergie weg –und wenn dann auch noch eine Dunkelflaute ist, sodass fossile Energieträger einspringen müssen, um die Energieversorgung in Gesamtdeutschland zu sichern. Daran kranken natürlich besonders die Großkraftwerke und die verbliebenen Großtagebauer hier im Gebiet.

Gravierende Einschnitte werden noch kommen. Da helfen auch die Kohlepfennige nicht, die hier verschiedene neue Arbeitsplätze in Milliardenhöhe schaffen sollen. Es funktioniert nicht richtig für die Leute, also für die ehemaligen Werktätigen in der Kohle- und Energieindustrie, die sich hier mehr erhoffen. Das muss sehr viel besser aufbereitet werden von Leuten, die von Berlin und von Potsdam geschickt werden und hier dafür sorgen sollen, dass Arbeitsplätze geschaffen werden.

Ich selber bin aus der Kohle ausgestiegen nach 1990, habe mich also nicht rausdrängeln lassen. Wir wussten, Kohle ist schon damals nicht der große Knaller gewesen, wenn man die Millionen Tonnen nimmt, die in den letzten DDR-Jahren gefördert wurden. Wir haben selber dazu beigetragen, dass die Kohle nicht mehr gebraucht wird. Ich nenne bloß Heizungsumstellungen in alten DDR-Gebäuden oder die Liquidierung von Betrieben, sodass keine Energie mehr gebraucht wurde. Da war uns klar, hier muss was passieren. Also sucht euch Arbeit so schnell wie möglich. Wenn es geht, solche Arbeit, wo ihr vor euch selber im Spiegel sagen könnt: Ja, wir haben bestanden für eine gewisse Zeit. Denn ich war ja damals erst 35.

Ich habe mir dann andere Betätigungsfelder gesucht: die Finanzwirtschaft. Da konnte ich ein bisschen hinter die Kulissen blicken, wie D-Mark, wie Markt funktioniert. Positive Sachen und auch sehr viel Negatives mitbekommen. Große Schwindeleien, große Versprechungen, die am Abend vorher oder am Nachmittag vorher getätigt wurden und von denen man am nächsten Früh dann nichts mehr wusste. Meistens von Gesandten europäischer und westdeutscher Banken, die im Osten Fuß gefasst haben. Also auf Deutsch: Hier wurde versucht – und da gibt es viele Beispiele – den Osten rücksichtslos über den Tisch zu ziehen. Es stand nur der Profit im Vordergrund. Die Leute, die ehemaligen Werktätigen, haben überhaupt nicht interessiert, sondern es wurden überall so Mäntelchen drüber gedeckt. ‚Wir schaffen Beschäftigungsgesellschaften, wir schaffen Qualifizierungsgesellschaften, kommt her, wir werden euch zwei, drei, vier Jahre qualifizieren und dann könnt ihr wieder am ersten Arbeitsmarkt starten.‘ Und da wollte ich ein bisschen dahinter steigen.

Als ich gemerkt habe, dass in der Branche, in der ich jetzt war, relativ viel geschwindelt, viel ummantelt und viel poliert wurde, habe ich aufgehört. Das war eigentlich der Grund. Nicht, weil man mich rausgeschmissen hat. Ich habe nach zirka zehn Jahren freiwillig gekündigt, nachdem die Banken uns gesagt haben, ihr müsst jetzt für die Fehler einstehen – als kleine Vermittler, als kleine Finanzierer. Da wollte ich nicht mehr mitmachen, so wie viele andere auch nicht. Das nannte sich: auf null gehen. Arbeitszeitverlagerung bis auf null und dann tschüss ohne Abfindung. Ich habe nicht einen Pfennig Abfindung gekriegt, ich habe mich selber abgefunden.“