Beatrice (93) erinnert sich an ihre Kindheit im Bergbaudorf Kiveton – an das Leben ihrer Familie rund um die Kohlemine, an den Bergarbeiterstreik und an den Zusammenhalt, der die Gemeinschaft damals prägte.
„Ich bin Beatrice und meine Familie ist schon seit Jahren Teil von Kiveton. Ich wurde in den frühen 30er Jahren geboren, in 1931, also bin ich fast 94 Jahre alt. Mein Großvater kam nach Kiveton, als man Bergleute suchte, also als man begann, das Bergwerk abzuteufen. Als man herausfand, dass es hier Kohleflöze gab, verbreitete sich die Nachricht, dass dringend Bergleute gebraucht würden.
Mein Großvater kam aus Derby und ging direkt nach Kiveton, um beim Abteufen des Schachtes mitzuhelfen, als sie damit Ende der 1860er bis Anfang der 1870er Jahre begannen. Aber meine Großmutter stammte aus Killamarsh und arbeitete als Barfrau im Pub „The Angel“ unten am Kanal, der von Kiveton bis nach Killamarsh führt. Mein Großvater ging immer in den „Angel“ auf ein Bier, und meine Großmutter bediente dort an der Theke. Und na ja, der Rest ist Geschichte. Sie heirateten 1880 und müssen dann fast jedes Jahr ein Kind bekommen haben. Mein Vater war der Jüngste von allen.
Damals verließ man Kiveton eigentlich nicht. Mein Vater lernte meine Mutter bei einem Bus-Ausflug nach Blackpool kennen. Unglaublich. Die Kirche St. John’s in Wales hatte diesen Tagesausflug nach Blackpool organisiert. Alle Chorknaben waren dabei, aber es waren nicht genug, um den Bus vollzubekommen. Also wandte man sich an die St. Thomas Kirche in Crookes, Sheffield, um zu sagen, dass man noch mehr Passagiere bräuchte, um die Unkosten zu decken. Meine Mutter und ihre Schwestern beschlossen, dass sie mitfahren würden. Als meine Mutter dann einstieg, war der einzige freie Platz neben meinem Vater. Mein Vater heiratete meine Mutter 1927. Und ich wurde 1931 geboren. Meine Geschichte in Kiveton reicht zurück bis zur Erschließung des Kohleschachts.
Aber damals war Kiveton noch ein ganz anderer Ort, weil wirklich jeder ein Bergarbeiter war. Ich lebte in der Stove Lane und alle, die in den 12 Häuser dort lebten, arbeiteten im Bergwerk. Deshalb hatten wir dort auch eine eigene, kleine Gemeinschaft. Und die Leute dort unternahmen Sachen gemeinsam. Alle kamen zusammen. Ich glaube, es war so, dass man die Schule beendete und direkt zum Kohleschacht runterlief, um nach einer Stelle zu fragen. In den 1930er Jahren war es, glaube ich, sehr selten, dass irgendjemand aus Kiveton wegzog. Meine Eltern zogen meinen Cousin auf, weil seine Eltern früh starben. Er verließ die Schule und ging direkt ins Bergwerk und bekam dort eine Stelle. Aber er hasste die Arbeit unter Tage. So sehr, dass er eines Tages nach Hause kam und sagte: „Ich werde nicht im Bergwerk arbeiten.“ Und meine Mutter meinte: „Aber du musst arbeiten.“ Na ja, er hatte in der Zeitung eine Anzeige gefunden, dass man in London Polizisten suchte und so stieg er in den Zug, fuhr nach London und wurde bereits 1936 als Polizist eingestellt.
Ich war vom Bergarbeiterstreik nicht direkt betroffen, da mein Mann kein Bergarbeiter war. Aber wir wohnten hier in der Hauptstraße. Eines Tages stand ich vor dem Haus und putzte die Fenster meines Wohnzimmers, als ein Polizist die Straße entlangkam. Er kam zu mir und sagte: „Wenn ich Sie wäre, Liebes, würde ich jetzt ins Haus gehen. Ich würde nicht weitermachen.“ Ich sagte: „Wieso das? Ich putze doch nur meine Fenster.“ Und er sagte: „Die Streikposten sind in Wales angekommen und ich fürchte, es wird gleich zu Ausschreitungen im Dorf kommen.“ Also ging ich ins Haus und ja, sie kamen wirklich die Straße herunter, aber es waren kaum Leute aus Kiveton dabei. Es waren die Streikposten von auswärts, die mit Bussen ins Dorf gekarrt wurden. Na ja, sie zogen die Straße hinunter, und ich bin wieder rausgegangen. Aber dann, gegen Ende des Streiks, als einige Bergleute wieder zur Arbeit zurück gingen, herrschte viel Feindseligkeit. Eines Nachts gab es draußen auf der Straße viel Aufruhr. Mein Mann und ich wurden beide davon wach und wir schauten aus dem Fenster und die Polizei eskortierte die ersten Männer, die den Streik brachen und zurück zur Arbeit gingen. Als es immer mehr wurden, wurden auch immer mehr Polizisten gebraucht. Also waren Polizeiwagen vor Ort und Polizisten, die mit den Männern marschierten. Sie eskortierten sie den ganzen Weg entlang. Das war auch nötig, um sicherzustellen, dass ihnen nichts passierte. Im Dorf hatte sich auf unterschiedlichen Wegen viel Feindseligkeit breit gemacht.
Ich kannte jemanden, der nicht mehr zu einer Friseurin ging, weil deren Mann den Streik gebrochen hatte. Ich arbeitete in der Bibliothek der Wales High School, und der Mann von einer der Putzfrauen dort, war ebenfalls zurück zur Arbeit gegangen. Jeden Tag, wenn sie zur Arbeit kam, fragte sie mich: „Darf ich mich kurz zu dir setzen?“ Ich sagte: „Natürlich. Was ist los? Gibt es ein Problem?“ Ihr Mann war zurück zur Arbeit gegangen und sie wurde daraufhin von den anderen Frauen im Dorf ziemlich schlecht behandelt. Die anderen Putzfrauen an der Schule ignorierten sie vollkommen. Vorher hatte sie ein gutes Verhältnis zu ihnen gehabt. Aber als ihr Mann zur Arbeit zurückging, haben sie sie vollkommen ignoriert. Sie konnte nicht bei ihnen sitzen und mit ihnen Kaffee trinken. Sie haben sie nicht zu sich gelassen. Also kam sie stattdessen in die Bibliothek und setzte sich zu mir, bis sie ihren Putzeimer holen und wieder weitermachen musste. Keine der anderen Frauen wollte mit ihr im selben Raum arbeiten. Wenn sie ein Klassenzimmer putzte, weigerten sich die anderen dort mit ihr zu putzen. Sie behielt ihren Job, aber am Ende verließen die ganze Familie das Dorf und ist nie zurückgekommen.
Heute gibt es Leute im Dorf, die gar nicht wissen, dass es mal ein Bergbau-Dorf war. Unfassbar, oder? Gemeinsam mit einer Freundin spreche ich jetzt in Schulen über die Vergangenheit. Ich bin während des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen, und es ist wunderbar, was sich seither alles verändert hat. Wir erzählen den Kindern von der Kohle und wie es war, im Bergwerk zu arbeiten. Manchmal überhören uns Leute in der Bibliothek, wenn wir diese Vorträge geben, und es kommt vor, dass sie fragen: „Wo war denn das Bergwerk eigentlich?“ Und für mich, deren Familie quasi aus dem Bergwerk hervorging, ist es unvorstellbar, dass sie das gar nicht wissen. Es ist meine Geschichte. Und heute wissen viele nicht einmal, dass Kiveton eine Zeche hatte. Die Leute, die heute im alten Zechen-Büro arbeiten, sind ganz anders als früher. Dort gibt es jetzt Mittagstische, Fitnesskurse und ähnliche Angebote, aber es ist mehr wie ein Unternehmen [als ein Ort für Gemeinschaft].“