Maria (66) erzählt von ihrer Zeit als Lehrerin und Pionierleiterin in Lauchhammer – und davon, wie die Staatsbürgerkunde aus dem Klassenzimmer manchmal nicht zur Realität in den Betrieben passte.

„Festival Sportstafette“ der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in Lauchhammer im März 1972

„Mich hat der Storch vor fast 67 Jahren in Lauchhammer abgeworfen und ich bin immer noch hier. Ich bin in Lauchhammer zur Schule gegangen, habe das Abitur gemacht. Nur vier Jahre zum Studium war ich weg. Ich wollte eigentlich Geschichte studieren. Da war ich auch in Dresden an der Hochschule zum Aufnahmegespräch. Die haben mich dann aber umgeleitet nach Zwickau an die Pädagogische Hochschule. Ich bin Diplompädagoge geworden. Wenn ich vom Studium nach Lauchhammer gekommen bin, da bin ich aus Richtung Plessa gekommen. Ich wusste, ich hab’s nicht mehr weit. Ich hab’s gerochen. Wirklich. Der Dreck mit der Kohle. Früh die Fußwege, die Leute sind auf Arbeit gefahren. Ich bin immer ein bisschen später los. Die anderen haben ja schon um sechs angefangen. Und die sind ja meistens alle mit dem Fahrrad gefahren. Und da hat man die Spuren gesehen auf den Gehwegen. War ja gepflastert alles. Schwarze Spuren von der Kohle.

Ich habe damals an einer Schule in Lauchhammer gearbeitet, war dort Pionierleiter und Lehrer. Ich wollte nicht nur Lehrer sein. Organisieren und so, das war meine Leidenschaft. Aufgaben verteilen, kontrollieren, durchführen, Berichte schreiben. Das war schon immer mein Faible. Als Pionierleiter habe ich am Nachmittag außerschulische Veranstaltungen und sowas alles organisiert. Wir haben schöne Sachen gemacht, Nachtwanderungen und alles Mögliche. Also nicht nur, was im Plan stand, was vorgegeben war, die monatlichen Mitgliederversammlungen.

Altstoffsammlungen haben wir auch gemacht, da hatte man zu tun. Erstmal alles vorbereiten, die ganzen Container. Dann, wir hatten 30 Klassen, alles auseinanderklamüsern, welche Klasse hat wie viele Flaschen, Gläser, Altpapier gesammelt. Dann Auswertung, welche Klasse war die beste. Dann musste man organisieren, es gab ja Preise. Ich habe mit denen Lambada getanzt, wo das aufkam. Ich war nicht so 08/15 strikt. Ich war ein verrücktes Huhn, auf Deutsch gesagt. Natürlich gab es die monatlichen Veranstaltungen mit Themen, die von oben vorgegeben waren. Fahnenappell, zum Beispiel. Das haben die Klassen gemacht und ich habe mit vorbereitet.

Staatsbürgerkunde hatte ich auch als Fach, sechs Stunden in der Woche. War für mich ein ganz normales Fach. Heute ist es politische Bildung. Ach, ich habe viel erlebt. War eine schöne Zeit. Hat auch Spaß gemacht. Und wir Kollegen unter uns. Ich wüsste keinen, der jetzt irgendwie blöd war oder so.

Ich wollte nicht in die Partei damals. Aber als Pionierleiter und Staatsbürgerkundelehrer geht das eigentlich nicht. Und ich konnte ja auch nicht mehr sagen, ich bin noch nicht reif genug. Das war immer unser Spruch damals, wo wir noch jung waren. Dann musste ich zur Kreisleitung nach Senftenberg. Da haben sie mit mir ein Gespräch geführt. ‚Ja, Maria, denk mal an dein berufliches Weiterkommen.‘ Ich sage: ‚Wenn alle solche in der Partei sind, könnt ihr einpacken.‘ Haben sie nichts mehr gesagt. Dann ging es weiter: ‚Dann kannst du in deinem Beruf nicht arbeiten.‘ Ich sage: ‚Na, ich denke, bei uns gibt es kein Berufsverbot wie im Westen.‘ Die haben mich nicht wieder angesprochen. Ich bin aber später dann doch rein, in die SED, durch eine junge Kollegin. Die war toll, die hat mir auch geholfen. Na ja, gut, dann war ich eben auch in dem Verein.

Damals hatte ich auch so eine Clique, ein Freundeskreis. Man hat sich halt geholfen. Gibt es heute auch noch, aber nicht mehr so wie damals. Die Männer haben die Elektrik in unserer neuen Wohnung nach der Arbeit verlegt. Als Dankeschön habe ich Abendbrot gemacht, wo die Männer immer vom Betrieb erzählt haben, was los ist und so. Und ich als Mädel da, junge Frau, mittenmang. Ich sage: ‚Na, dann geht doch zur Gewerkschaft. Beschwert euch doch!‘ ‚Mädel, träum weiter‘, haben sie gesagt. Die haben mich immer ausgelacht, ich konnte es nicht verstehen. Ich hatte es ja anders gelernt. Hier war die Theorie und dort saß die Praxis.

Dann kam die Wende. Da habe ich mich ein bisschen verrückt machen lassen. ‚Ja, deine Ausbildung wird nicht anerkannt‘ – und so weiter. War ja damals so. Ich dachte: Naja, ändert sich so oder so. Die Kinder werden weniger. Das war mir schon klar, also irgendwie, komische Eingebung, suchst du dir jetzt was, bevor sie dich nachher entlassen. Und da ich schon immer gerne mit Geld zu tun hatte – ich habe ja auch die Finanzen von der Schule, von den Pionieren geführt – war ich im Steuerbüro gelandet, als, naja, so Arbeiterin.

Habe auch Lehrgänge gemacht. Computerlehrgang. Wo das anfing mit den Computern. In Buchhaltung habe ich auch einen Lehrgang gemacht. Dann bin ich an eine Wessi-Tante geraten, muss ich mal so sagen. Eine Steuerberaterin. Die war nach drei Monaten verschwunden und wir saßen da – mit den ganzen Akten von den Ärzten und Selbstständigen und was weiß ich. Da haben wir die Leute angerufen: ‚Holt euer Zeug.‘ Zufällig hat ein Motorradhändler gerade eine Bürokraft gesucht. Der hat mich gleich mitgenommen mit seinen Akten. Da war ich ein paar Jahre. Meine Eltern hatten eine Bekannte, die hatte fünf Textilläden. Die hat auch jemanden gesucht fürs Büro. Da habe ich dann gewechselt von den Motorrädern zu den Textilien. Die Frau hat aber irgendwann aufgehört. Hat sich ein bisschen übernommen mit fünf Geschäften. Und da war ich tatsächlich elf Monate arbeitssuchend. Komisches Gefühl. Ein saublödes Gefühl. Ich habe immer mehr verdient als mein Mann. Ja, irgendwie war es doof. Ich bin dann zur WEQUA. Also Wirtschaftsentwicklungsqualifizierungsgesellschaft. Da habe ich gearbeitet als Projektmitarbeiterin bis ich erwerbsunfähig wurde. Jetzt bin ich Rentner.

Lauchhammer hat sich sehr verändert. Menschen weg. Wir haben uns halbiert, Einwohnerzahl. Das Stadtgebiet sieht ganz anders aus. Neustadt I, die zugenagelten Fenster. Steht ja unter Denkmalschutz, das Wohngebiet, das sie extra wegen der Kokerei, wegen der Kohle hier aufgebaut haben. Meine Oma hat dort gewohnt, das war so herrlich. Die Gebiete dazwischen drinnen – mit Planschbecken und Bänken und wunderschön. Die Neustadt II hat sich auch verändert. Das Wohnen hat sich verändert. Gut, die haben alles modernisiert und so, alles schön gemacht. Aber langsam frage ich mich, wo die Mieter herkommen sollen? Wer soll hier einziehen? Hier gab es früher Massen an Kindern in jeder Wohnung. Ein Kind war schon zu wenig, zwei, manchmal sogar drei Kinder. Da haben die Eltern im Kinderzimmer campiert und die Kinder haben das größere Schlafzimmer gehabt. Heute haben wir hier im Nachbarhaus ein ukrainisches Kind. Das war’s. Und sehr viel Alteingesessene, die hier von Anfang an schon wohnen. Es ist irre.“